Rückstecher

Bereits um 21 Uhr sitze ich in meiner ebenerdigen Kanzel und blicke auf die mondbeschienene Wiese. Hinter ihr der Hochwald, keine achtzig Meter entfernt. Dieses Mal habe ich den Gewehrriemen sofort abgehakt. Ob sie wieder kommen, wie gestern Nacht, frage ich mich zweifelnd.

Neben mir auf einem extra Stuhl, in eine Wolldecke gehüllt, Flöchen, die zum dritten Mal in dieser geschlossenen Kanzel an ‚Adams Wiese‘ auf jagdliche Erfolge ihres Herrchens wartet. Vorsorgend lege ich eine Wolldecke über meine Knie und Flo, die ihren Kopf auf meinen Oberschenkel lehnt, es soll heute Nacht wesentlich kühler werden.

Der Mond meint es gut. Das Licht reicht aus, um nahende Sauen zu erkennen. Innerlich gähne ich in Erwartung, dass es wahrscheinlich erst um Mitternacht interessant wird.

Plötzlich, ich traue meinen Augen nicht, rechts vor mir, etwa sechzig Meter, drei schwarze, längliche Körper.

Ganz ruhig, befehle ich mir, ganz ruhig! Im Zeitlupentempo hebe ich das Fernglas an die Augen, erkenne drei Überläufer, die die Wiese mit ihren Würfen umgraben. Mein Herz pocht, ich hebe vorsichtig die Waffe und suche durch das Zielfernrohr eine der Sauen. Ich habe sie voll im Glas – und drücke ab. Der Schuss peitscht durch die Nacht. Das Mündungsfeuer blendet. Zwei Sauen preschen davon, ich kann es hören. Ich blicke wieder durch das Glas und sehe das Wildschwein immer noch. Der zweite Schuss löst sich, das Stück schreit auf und rennt quiekend zum Waldrand. Getroffen, denke ich, Gott sei Dank! Hoffentlich liegt es, damit wir es finden.

Blick auf die Uhr: 21.10 Uhr. Flo hat sich nicht gerührt, nicht gemuckt, sich nur auf die Hinterläufe gehockt und blickt mich fragend an.

Mit zitternden Händen rufe ich Schachti an. „In zehn Minuten bin ich da, bleib‘ sitzen!“

Anruf bei Einstein. „Habe die beiden Schüsse gehört. Waidmannsheil, Silberlocke!“ „Noch haben wir die Sau nicht! Schachti kommt gleich. Ich halte dich auf dem Laufenden!“

Schachti kommt. Per Handy dirigiere ich ihn zum Anschuss. Er sucht alles ab. Nichts. Weder Schweiß noch Schnitthaare werden gefunden.

Meine Stimmung sinkt auf Minusgrade. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Der Rückstecher!

Wahrscheinlich habe ich, wie früher, wieder die Waffe verrissen.  Um das zu vermeiden, habe ich mir vor Jahren einen Rücksteher einbauen lassen. Warum, verdammt, habe ich ihn nicht genutzt?

„Das Quieken ist ein Hinweis, dass die Sau nicht lebensgefährlich verletzt worden ist. Ich tippe auf einen Laufschuss. Morgen suchen wir mit dem Hund nach“, versucht Schachti mich zu trösten.

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