Drei, Zwei, Eins …

Vor uns Reste eines Maisfeldes. „Gestern Nachmittag kamen die Fünf aus dem Wald rechts“, zeigte ich Einstein, „dann verhofften sie kurz, bevor sie im Mais untertauchten!“

„Nicht schlimm, wenn ihr einen Bock erlegt“, hatte uns Schachti mit auf den Weg gegeben, „Böcke sind bis zum 15. Januar frei und wir können noch ein oder zwei schießen. Also zeigt, was ihr könnt!“

Einsteins Zigarillenrauch zog außerhalb parallel am geöffneten Fenster vorbei und verzog sich hinter den fahrbaren Ansitz, genau richtig, damit das von uns erwartete Rehwild keinen Wind von uns bekam.

Ich freute mich darüber, dass Einstein alles erdenkliche unternahm, damit ich keinen Rauch einatmen musste. Es sah zwar putzig aus, wie er sich aus dem Fenster lehnte, die Lippen verlängerte und mit tiefem Zug an dem Zigarillo saugte, um dann schnell den glühenden Stummel zwischen Zeige- und Stinkefinger zu platzieren und den Qualm aus seinem Mund wie dem Stummel in die Welt zu pusten. Sein kaum wahrnehmbarer Seitenblick zu mir forderte ein Dankeschön meinerseits heraus.

Mein dankbares Lächeln gefror, als mir siedend heiß einfiel, dass er, gesundheitlich angeschlagen, eigentlich nicht mehr rauchen sollte. Meine COPD müsste ihn zusätzlich warnen. „Soll ich wirklich auf alles verzichten, dann kann ich ja gleich Schluss machen“, argumentierte er mit aggressivem Unterton, angesprochen auf dieses Manko.

 

Die gespenstische Szene im OP fiel mir ein, während mein Blick an der Maiskante entlang glitt auf der Suche nach austretendem Rehwild.

Ich war zum zweiten Mal in einem anderen Krankenhaus, um das Vorhofflimmern beheben zu lassen.

„Legen Sie sich mal auf die linke Seite!“

„Stopp“, protestierte ich, „was ist mit einer örtlichen Betäubung!?“

„Ach, das machen wir eben so“, entgegnete der Arzt und schob mir den schwarzen, dicken Schlauch mit dem metallenen Kopf durch die Mundhöhle in die Speiseröhre.

„Eins, zwei, drei Mal schlucken, dann klappt das schon!“

Bevor ich überhaupt würgen konnte, suchte der runde Kopf nach irgendwelchen Blutgerinnseln, wurde tiefer geschoben, reizte zum Würgen, bewusstes Luftholen verhinderte das Erbrechen.

„Verdammt“, fluchte der Arzt und schob mit der rechten Hand das schwere Gerät zur Seite, weil es auf einem Kabel stand, während die linke Hand den Schlauch, verbunden mit der Apparatur, zu kontrollieren trachtete. „Drei, zwei, eins“ zählte der Arzt und zog, von meinem Brechreizgewürge gewarnt, den Schlauch zügig aus meinem Hals.

Eine viertel Stunde später. Man hatte keine Gerinnsel gefunden, die den Elektro-Schock verhindert hätten. Bevor ein Pfleger das Narkosemittel in den Zugang auf meinem Arm spritzte, beruhigte er mich. „Gleich haben Sie es überstanden. Dann schlägt das Herz wieder normal. Eins, zwei, dr… .

 

Die Sonne war längst untergegangen. „Gleich müssten sie austreten“, flüsterte ich in Einsteins Richtung. Als Antwort wollte er sich wieder einen Zigarillo anstecken. Mein bissiger Kommentar „Muss das sein?“ hinderte ihn daran. Stattdessen  legte er sein Gewehr bereit, geladen und gesichert, und beobachtete schmollend das vor uns liegende Feld mit dem Restbestand an Mais und den Waldrand rechter Hand.

Ich peilte die Lage, wohin ich schießen könnte und erklärte: „Du nimmst das linksstehende, ich das rechtsstehende Reh, ok?“

„Immer diese Amerikanismen! In Ordnung klingt besser als „ok“!“

„Schießen wir auf DREI oder nach DREI? Also EINS, ZWEI, DREI – SCHUSS?“ fragte ich, unsicher geworden.

„DREI, ZWEI, EINS – SCHUSS!, ist doch klar“, maulte Einstein und sah zu, wie auch ich die Büchse zurechtlegte.

Eine Stunde nach Sonnenuntergang.

An die Gewehre geklammert, lauschten wir und versuchten, die stärker werdende Dunkelheit zu durchdringen.

Nichts.

Als wir die Maishalme nicht mehr erkennen konnten, blitzte Einsteins Feuerzeug. Der angenehme Duft des Zigarillos zog aus dem Fenster in die Weite.

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