Mein Weg zum Anschussseminar

Kurz vor Ende der Drückjagd. Endlich, keine 25m links von mir verhofft ein Reh in der angrenzenden Buchenverjüngung. Mein Schuss auf das breit stehende Stück übertönt die Glöckchen der Hunde im Gebiet rechts von mir, die noch kräftig am Stöbern sind. Das Reh springt ab. Ich mache mir keine weiteren Gedanken. Werde wenn Hahn in Ruh ist nachschauen. Wäre ja nicht ungewöhnlich, dass ein Stück noch etwas läuft nach dem Schuss. Aufgrund der neben der Buchenverjüngung angrenzenden dichten Tannenschonung wird mir der genommene Fluchtweg leider optisch verwehrt.

Jagd aus. Ich entlade, packe zusammen und steige zu meinem bereits unten wartenden Hund die Kanzel herunter. Dem Nachbarschützen schicke ich schnell eine kurze Nachricht, dass er bereits zum Auto laufen könne, ich müsse noch mein Reh bergen. Diva und meinen Rucksack parke ich an meinem Sitz. Dann kämpfe ich mich durch die sehr dichte Verjüngung und suche den Anschuss. Mir wird heiß und kalt, schlecht, wirre Gedanken schießen mir durch den Kopf. Auf etwa einem Quadratmeter  sehe ich vorwiegend weißes Schnitthaar, minimal Wildbret und Fragmente eines Gelenkes. Ich bin mir zu 100% sicher, dass ich hier einen Laufschuss produziert habe. Ich könnte mich ohrfeigen. Aber man glaubt als Jungjäger ab und an dann eben doch, was einem von alten Hasen zugetragen wird: „ mit der .30-06 kannst du auch locker mal zwischen Gestrüpp schießen. Das macht der nix. Die trifft trotzdem.“ Nein, eben nicht! Und wenn man mal logisch darüber nachdenkt, was so ein Teilmantelgeschoss bei Ablenkung alles anstellen kann, macht das auch keinen Sinn.

Wir suchten damals fast umgehend mit brauchbaren Hunden nach, aber das Reh blieb verschollen. Heute weiß ich, lass es erstmal in Ruhe, damit es ins Wundbett geht und man es in diesem Fall mit dem Hund stellen kann. Der Nachbarschütze gab uns Bescheid, dass an ihm ein Reh, dem ein unterer Vorderlauf fehlte, vorbeigeschossen sei. Jedoch hatte auch er es nicht erlegen können. Einige Tage später kam die Nachricht über ein am Trester erlegtes dreibeiniges Reh. Bis heute begreife ich selbst nicht, warum ich diese Dummheit beging.

Froh war ich über den offensichtlichen Anschuss und natürlich die Bestätigung durch die Sichtung des Nachbarschützen. Aber was wenn man sich eben nicht sicher ist was man da vor sich findet. Vor allem wenn man keinen Schweiß zur Bestimmung hat. Heller Schweiß, dunkler Schweiß. Blasig, körnig. Was, wenn eben nur Knochenfragmente und Schnitthaar oder auch nichts zu sehen ist. Evtl. nur ein Kugelriss.

Den Besuch eines professionellen Anschussseminars halte ich spätestens seitdem für mehr als sinnvoll. Auch wenn wir hier vor Ort im Jägerkurs und später im Wildtierschützerlehrgang das Thema Nachsuche theoretisch wie auch praktisch durchgenommen haben — Auffrischung und Wissenserweiterung schadet nie.

Somit ergriff ich die Chance, als in einer meiner Jägergruppen in Facebook ein Anschussseminar der Schweißhundestation Südschwarzwald angeboten wurde. Im Juni fuhr ich also mit einer Freundin und unseren beiden Hunden in den Schwarzwald. Das Seminar war für den Samstag geplant, aber schon am Vorabend genossen wir die Gastfreundschaft und durften nach einem leckeren Essen in unserem Berggasthof noch einige Stunden bis die Nacht hereinbrach im Revier von Stefan Mayer auf Bock und Sau ansitzen. Auch wenn keiner Beute machte, war es zumindest ein anderes Revier als zu Hause und außerdem ein fröhliches Beisammensein danach.

Hier wird der Anschuss auf ein Stück Rehwild (ebenfalls am Pendel) realitätsnah erstellt.

Am nächsten Vormittag rückte der Rest der Seminarteilnehmer an und es gab erstmal einiges an Theorie, lebendig verpackt in Form eines Vortrages und einer Leinwandpräsentation. Schon hier erhielten wir wichtige Infos und Einblicke in die moderne Nachsuche. Alte Vorurteile und Thesen wurden durch neueste Erkenntnisse und gelebte Praxis widerlegt. Verschiedene Situationen vor, während und nach dem Schuss wurden theoretisch ebenfalls mit bildlichem Anschauungsmaterial durchgesprochen. Nach einem kleinen Mittagessen ging es ins angrenzende Waldstück, wo das Team verschiedene Anschüsse mithilfe einer Pendelsau für uns vorbereitet hatte.

Eine Pendelsau im Einsatz

Diese war an verschiedenen Plätzen mit unterschiedlichen Trefferlagen beschossen worden. In kleinen Gruppen wagten wir uns an die Herausforderung des Spurenlesens. Wir sollten auf Kugelriss, Fragmente von Knochen, Schnitthaar, Fliegen, Wildbret und mitunter Eingriffe achten. Der Schweiß blieb abgesehen von minimalen Tröpfchen komplett außen vor, was ich persönlich sehr gut fand. Denn wann hat man es wirklich schwer? Genau. Wenn eben kein Schweiß zu finden ist.

Zur besseren Sichtbarkeit der Pirschzeichen bietet sich ein Papiertaschentuch an.

Unsere Gruppe stellte anhand der vorgefundenen Knochenfragmente schnell fest, dass es sich um einen Laufschuss handeln musste. Der Kugelriss wurde ausgiebig untersucht und anhand diesem und der vorhandenen Eingriffe versuchten wir mittels senkrecht gehaltenem Stock am Kugelriss und zweitem Mann am Schützenstandort den Treffersitz zu ermitteln. Wichtige Fragen wie: Was macht das beschossene kranke Stück dann? Läuft es eher bergauf, bergab, ans Wasser, in eine sichere Dickung? Selbst suchen und wie schnell oder doch den Nachsuchenführer verständigen?, Wurden gestellt und geduldig von unseren Gastgebern beantwortet und diskutiert.

Als alle Gruppen ihre Anschüsse gefunden und ausgearbeitet hatten, trafen wir uns zur Beschau des beschossenen Wildschweins. Jetzt konnte man direkt sehen wie richtig man mit seiner Vermutung lag und jede Gruppe durfte kurz ihren Fund ansprechen. Im Anschluss wurde die Sau vor einer weißen Plane hängend nochmals beschossen. Hier konnte man die Splitterwirkung des benutzten Geschosses sehr gut erkennen und sich somit auch manches Fragment das außerhalb des eigentlichen Anschusses landete besser erklären.

Der anschließende Theorieteil war ebenfalls nochmals sehr interessant und aufschlussreich. Auch gingen wir noch das Thema Kugelfang an. Was passiert wenn das Geschoss auf einen Schotterweg trifft. Anhand eines Videos wurden auch hier nochmals unsere Sinne geschärft. Splitterwirkung auf beistehendes Wild. Ebenfalls kein seltenes Thema. Ich denke es werden einige der Teilnehmer in diesem Jagdjahr wieder bewusster zur Drückjagd gehen.

Einiges an Infomaterial durften wir auch noch einpacken. Mit vielen neuen Erkenntnissen und sensibilisierten Ansichten verließen wir das Seminar.

Ein schlechter Schuss kann auch bei bester Vorbereitung passieren. Jedem und jederzeit. Die Kunst ist es, richtig damit umgehen zu können. Keiner sollte so eine Situation verharmlosen und erst recht nicht auf sich beruhen lassen. Hat man wirklich fahrlässig gehandelt, sollte spätestens bei dieser Erkenntnis ein Umdenken anfangen. Wir waidwerken auf lebendige Kreaturen. Und egal ob Fuchs oder Wildschwein, ob Waschbär oder Reh, jede Kreatur hat das Recht auf eine weidgerechte Bejagung.

Wer sich vorab einen Einblick in die Arbeit der Schweißhundestation Südschwarzwald machen möchte, holt sich das Buch „Schuss und Anschuss: Die Profitipps der Schweißhundestation Südschwarzwald“ erschienen im Kosmos Verlag ISBN-10: 3440150526. Erhältlich unter jana-jagd.de.

Text und Bilder: Natalie Bernhard

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